Mehr als nur Müdigkeit

Hast Du Dich schon einmal gefragt, wieso Dein Hund ständig gähnt? Er kann schließlich nicht dauernd müde sein, so viel wie die Tiere schlafen können. Tatsächlich ist das wahrscheinlich auch gar nicht der Fall, denn Hunde gähnen aus vielen verschiedenen Gründen, die nicht immer etwas mit Müdigkeit zutun haben müssen. Diesen unterschiedlichen Ursachen genauer auf den Grund zu gehen und zu lernen, hinter das Gähnen zu blicken und zu erkennen, was der Vierbeiner mit der Geste ausdrücken möchte, kann Eure Bindung zusätzlich stärken. Zwar ist es nicht immer ganz eindeutig, wieso der Hund gähnt, doch Dich mit den Deutungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen kann Dir viele Einblicke in die Emotionen und Bedürfnisse Deines Lieblings verschaffen.

Der offensichtlichste Grund – Müdigkeit

Auch wenn sie längst nicht der einzige Grund für ein tierisches Gähnen ist, ist die Müdigkeit doch nicht zu vernachlässigen in diesem Kontext. Wenn Dein Vierbeiner sich vor oder nach dem Schlafengehen gähnend streckt, kannst Du davon ausgehen, dass das Gähnen – wie bei uns Menschen – mit der Müdigkeit zusammenhängt. Vor dem Schlafen signalisiert er Dir damit wahrscheinlich, dass er nun seine Ruhe braucht. Es kann jedoch auch sein, dass die Geste eher als eine Art Kampfansage gegen die Müdigkeit verstanden werden muss. Das hängt damit zusammen, dass der Hund durch das tiefe Einatmen viel Sauerstoff in seine Lunge lässt und dadurch die Durchblutung anregt. Das erfrischt und macht ihn wacher – in der Theorie, denn häufig schlafen die Tiere danach trotzdem ein. Wenn der Vierbeiner viel Zeit in einem stickigen Raum verbracht hat, kannst Du das Gähnen zum Ausgleich von Sauerstoffmangel übrigens auch beobachten. Außerdem holen Hunde beim Hecheln aufgrund von Anstrengung oder hohen Temperaturen auf diese Weise tief Luft.

Beschwichtigung und Stressabbau

Vielleicht hast Du Deinen Hund auch schonmal in besonders stressigen oder unbekannten Situationen gähnen sehen, zum Beispiel wenn es sehr heiß ist oder ein neuer Artgenosse in sein Zuhause kommt. Wenn Hunde sich unwohl oder unsicher fühlen, beruhigen sie sich durch das Gähnen instinktiv selbst. Es hilft ihnen, Spannungen im Körper zu lösen und sie werden entspannter. Ähnlich funktioniert das Gähnen auch in angespannten Situationen zwischen Artgenossen. Hunde suchen in der Regel nach Harmonie und finden Streite eher anstrengend und stressig. Wenn nun jedoch ein Konflikt droht, ein Vierbeiner aber gar keinen Ärger sucht und nicht seinen Platz in der Rangordnung verbessern möchte, gähnt das Tier, um sein Gegenüber zu beschwichtigen und zu signalisieren, dass es nicht auf Streit aus ist. Diese Geste kann auch in der Mensch-Hund-Kommunikation nützlich sein. Du kannst ebenfalls gähnen, um Deinen Liebling zu beruhigen, wenn er Dein Signal versteht, wird er sich entspannen. Andersherum kannst Du möglicherweise auch beobachten, dass Dein Vierbeiner gähnt, wenn er den Eindruck hat, dass Du sauer auf ihn bist. In diesem Fall möchte er Dich beschwichtigen.

Ob die Fellnasen die Geste zum Stressabbau und zur Beschwichtigung bewusst oder unbewusst verwenden, ist nicht vollständig geklärt.

Gähnen als Übersprungshandlung

Neben dem Stressabbau in unsicheren Situationen dient das Gähnen, ebenso wie andere sinnlos erscheinende Gesten, auch als Übersprungshandlung, um Zeit zu gewinnen. Dieses Verhalten kannst Du beobachten, wenn der Vierbeiner Zeit benötigt, um seine Unsicherheit zu überwinden, eine Situation richtig einzuschätzen, einen fremden Gegenstand länger zu betrachten, oder zum Beispiel die Bedeutung eines Kommandos von Dir zu erraten, die ihm entfallen ist. Hunde gähnen häufig dann, wenn sie denken, schnell eine Entscheidung treffen zu müssen, die ihnen schwerfällt – welches Spielzeug? In den Park oder an den See? Freund oder Feind? – sie gewinnen dadurch etwas Bedenkzeit.

Ausdruck von Emotionen

Wenn Dein Vierbeiner Dich freudig an der Tür empfängt, sich riesig auf einen gemeinsamen Spaziergang oder das gemeinsame Spielen mit Dir freut und sich vor Aufregung kaum halten kann, wird diese Emotion ebenfalls häufig von einem Gähnen begleitet. Eigentlich ein Widerspruch in sich, oder doch nicht? Vor dem Hintergrund, dass Hunde sich auch bei Stress oder in Konfliktsituationen durch Gähnen beruhigen, wirkt das Gähnen bei großer (Vor-)Freude oder Aufregung gar nicht so unlogisch. Das Tier bemerkt selbst, dass es gerade vor Emotionen überquillt und versucht, sich selbst zu beschwichtigen und die überschüssige Energie loszuwerden.

Gähnen ist ansteckend

Die meisten Menschen wissen, dass wir schnell mitgähnen müssen, wenn wir eine andere Person gähnen sehen. Aber wusstest Du, dass es zwischen Hunden und sogar zwischen Mensch und Hund genauso ist? Dieses sogenannte soziale Gähnen hilft uns, Bindungen zueinander aufzubauen oder zu verstärken und tritt bei Hunden nicht immer unwillkürlich auf. Die sozialen Tiere sind sehr talentiert darin, unsere Emotionen wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. Wenn nun eine ihnen vertraute Person oder ein anderer Hund gähnt, verstehen sie das als Zeichen der Entspannung und des Wohlbefindens. Sie möchten sich an die aktuelle Stimmung anpassen und imitieren das Gähnen, um Verbundenheit und Verständnis für die Gefühle des Gegenübers zu zeigen. Hunde fühlen über das Gähnen also mit Dir. Von Fremden hingegen lassen sich Hunde nicht so häufig mit dem Gähnen anstecken.